Es will das soviel sagen, als wenn er gesagt hätte: "Ich bezeige dir deswegen meine Ehrfurcht, weil du an Fülle der Gnade mich übertriffst". Die allerseligste Jungfrau wird aber in dreifacher Beziehung "voll der Gnade" genannt.
1. In Beziehung auf ihre Seele, welche die ganze Fülle der Gnade besass.
Die Gnade Gottes wird nämlich zu einem doppelten Zweck verliehen, nämlich um das Gute zu tun und das Böse zu meiden. Und in diesen beiden Beziehungen besass die seligste Jungfrau die vollkommenste Gnade. Denn erstens hat sie jede Sünde mehr gemieden, als irgend ein Heiliger nach Christus... Die Sünde ist nämlich eine schwere oder eine lässliche, und von diesen beiden war sie frei.
Darum sagt die Heilige Schrift von ihr: "Du bist ganz schön, meine Freundin, und keine Makel ist an dir". Und der hl. Augustinus schreibt in seinem Buch von der Natur und der Gnade: "Wenn alle Heiligen in ihrem Leben befragt worden wären, ob sie ohne Sünde seien, so würden sie einstimmig geantwortet haben: Wenn wir sagten, wir haben keine Sünde so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns (1 Joh 1,8). Hievon aber nehme ich aus die heilige Jungfrau, welche ich, wenn von der Sünde die Rede ist, wegen der Ehre des Herrn nicht einmal erwähnt wissen will. Denn wir wissen, dass derjenigen, die den sündelosen Heiland empfangen und gebären sollte, zum allseitigen Siege über alles Böse ein größeres Mass von Gnade zugeteilt worden ist".
Dominikanerkirche Wien |
Maria hat aber zweitens auch alle Tugenden (gleichermassen) geübt, die anderen Heiligen dagegen besonders irgend eine einzelne; so der eine die Demut, ein anderer die Keuschheit, ein dritter die Barmherzigkeit. Und so werden sie mehr als Vorbilder einzelner Tugenden uns vorgestellt; wie z. B. der hl. Nikolaus, als Vorbild der Barmherzigkeit usf. Die
Die allerseligste Jungfrau dagegen ist ein Vorbild aller Tugenden; sie ist ein Muster der Demut: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn"; und: "Er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd"; das Urbild der Keuschheit, "denn ich erkenne keinen Mann", und so betreffs jeder anderen Tugend, wie leicht nachgewiesen werden könnte.
So ist sie also voll der Gnade sowohl in Bezug auf die Ausübung des Guten als die Vermeidung des Bösen.
(Katechismus des hl. Kirchenlehrers Thomas von Aquin, Petrusverlag, 152ff, Opusculum 8)
Fortsetzung folgt!
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